„Ungerecht!“ Leseprobe

1. Kapitel: Ein Kloster voller Möglichkeiten

Cover "Ungerecht!" von Tine SprandelJakob trabte an der hohen Mauer entlang und drückte die Klinke der Holztür. Er stemmte sein Gewicht dagegen, dann erst öffnete sich die Tür. Es roch nach dicken Wänden, die kaum etwas von der Wärme des Sommers abbekommen hatten. Die Vorhalle blinkte kalt und kahl. Die neuen Turnschuhe quietschten zu laut auf den abgelaufenen Fliesen. Es war der zweite Schultag im neuen Schuljahr in der neuen Stadt.

Zuerst marschierte Jakob an gleichförmigen Türen vorbei. Mit Schildern, auf denen zu lesen war: „Pforte“, „Sekretariat“ „Putzraum“. Am Ende des Ganges bog er um die Ecke.

Es folgten rechts und links vier Türen: „Frühling“, „Herbst“, „Sommer“, als letztes sein Klassenzimmer „Winter“.

Ein ganzes Schuljahr Winter. Zum Gruseln.

Die Tür stand offen.

Jakob hängte seine Jacke an die Garderobe im Gang, betrat den quadratischen Raum und stellte die Plastikschachtel mit dem Kuchen auf seinen Platz in der zweiten Reihe. Aus dem Klassenzimmer sah er auf eine Wiese, die an einen Kreuzgang grenzte!

Seine Eltern zwangen ihn auf die grässlichste Schule dieser grässlichen Stadt. Ein Kloster. Nicht direkt ein Kloster, zugegeben. Im Haupthaus wurde renoviert und die 7b bezog für ein Schuljahr einen Seminarraum in dem Kloster. Trotzdem war die Vorstellung, jeden Tag ein Kloster zu besuchen, grässlich.

Jakob war der Erste. Gut. Er könnte den Kuchen ja unauffällig verschwinden lassen. Obwohl seine Mutter meinte, dass er es mit dem Kuchen leichter in der neuen Klasse habe. Von wegen.

Von vorne höhnte Jonny: „Sind wir hier im Kindergarten?“

Jakob stand da wie ein Trottel.

Jonny war der Beste der Klasse und benahm sich wie ein Anführer. Er hielt den Deckel der Plastikschachtel in der Hand und grinste. Friedel und Carlo stimmten neben ihm ein: „Ja, sind wir das?“

Friedel wollte eigentlich Freddy genannt werden, keiner hielt sich daran, und Carlo war der kürzeste unter den Jungs, soviel wusste Jakob schon.

Jonny stellte die Plastikhaube neben den Kuchen und ging zu seinem Platz zwei Reihen hinter Jakobs, ohne noch etwas zu sagen. Er legte ein Buch auf den Tisch. „Früher sind zwei Knaben aus so einer Stiftschule als Hexen verurteilt und verbrannt worden“, murmelte er.

Zwei Knaben? Frauen waren Hexen, ja davon hatte Jakob gehört. Aber Knaben?

Jonny vertiefte sich in das dicke Buch mit beigem Ledereinband.

Langsam trudelten alle Schüler ein.

Jetzt war es zu spät. Der Kuchen stand vor Jakob, auf dem gelben Untersatz. Die dumme Plastikhaube daneben. In fünf Minuten war Butterblume angesagt. So nannten die anderen die Biologielehrerin, die eigentlich Frau Butter hieß.

„Was haltet ihr davon wenn wir einen richtigen Kindergartenkuchen daraus machen und ihn mit Butterblume verspeisen?“, meinte Matts, der als letzter gekommen war und seine große Nase über den Kuchen hängte.

„Was willst du damit sagen?“ fragten Carlo und Friedel.

Jakob fixierte den Kuchen, um ihn in Luft aufzulösen.

„Naja, mit Überraschungen und so.“ Matts grinste von einem Ohr zum anderen. Jakob ahnte nichts Gutes.

„Wir versenken Kieselsteine“ sagte Carlo.

„Salzbrocken“, sagte ein anderer

„Watte“, schlug Friedel vor.

Und so weiter.

Matts klopfte Jakob auf die Schulter: „Super Idee, das mit dem Kuchen. Du wirst ein klasse Kumpel.“

Natürlich sagte Jakob nichts mehr dagegen, sondern: „Und damit wir sehen, wo wir etwas versteckt haben, garnieren wir den Kuchen mit Blumen!“

Die anderen klatschten und einige rannten raus, um Blumen zu pflücken und Kieselsteine zu holen.

Nach fünf Minuten sah der Kuchen wie ein Butterblumenkuchen aus.

Frau Butter sprach mit einer hohen, piepsenden Stimme. „Oh, was für eine Überraschung!“

Gleichzeitig betrachtete sie die Schüler skeptisch. „Ihr führt doch etwas im Schilde?“

Zum Glück sah sie nicht zu Jakob. Wenn er so rot im Gesicht war, wie er fühlte, war eine Tomate blass dagegen.

Jonny erklärte ihr, dass das der Einstand von Jakob, dem Neuen, sei. An seiner alten Schule sei das so üblich. Frau Butter nickte freundlich.

Sie probierte ein Stück. Zuerst erwischte sie wahrscheinlich Watte, denn sie verzog nur das Gesicht.

Matts, Friedel, Carlo, Jonny und Jakob bissen ebenfalls in ihre Kuchenstücke, sorgfältig um die Blumen herum. Andere kicherten und hielten die Hand vor den Mund.

Butterblume sah Jakob mitleidig an und nahm den nächsten Happen. Volltreffer. Sie musste an einen Stein geraten sein. Sie lief aus dem Klassenraum, und kam mit Wassertropfen im Gesicht und rotem Kopf zurück. In Gedanken zertrümmerte Jakob die Plastikschachtel mitsamt Inhalt an der Wand.

Jonny sagte: „Entschuldigen Sie Frau Butter. Sie sollten wissen, dass das nicht die Idee von unserem Neuen war, das war die Idee von uns allen.“

Echt in Ordnung, fand Jakob.

Butterblumes Gesichts nahm wieder Farbe an. „Ein schlechter Scherz zum Einstieg, fast hätte ich einen Zahn verloren. Ich werde eurem Klassenlehrer berichten.“

Alle schwiegen und sahen auf ihre Kuchenstücke. Bis Matts fragte, ob sie den Kuchen trotzdem aufessen durften.

„Wenn ihr es wagen wollt, nach meiner Stunde.“

 

Jakob dachte, jetzt gibt es eine Strafe oder einen Eintrag oder so. Doch Stupps, der Klassenlehrer, sagte am Ende des Schultages: „Nehmt Euch in Acht in den Pausen. Auch wenn es dauert bis ein Lehrer vom Haupthaus rüber kommt, ich habe hier überall Kameras installieren lassen. Wenn ihr etwas anstellt – mir entgeht nichts.“

Er sagte das mit einem Augenzwinkern. Ob er es ernst meinte? Selbst Jonny schien nicht ganz sicher zu sein. Er hob höflich seinen Finger und sagte: „Herr Stupps, das dürfen Sie gar nicht. Datenschutz.“

Stupps antwortete: „Wenn du wüsstest, was ich alles darf. Außerdem ist Gefahr in Verzug. Ich denke da nur an Jakobs Kuchen.“

Matts, Friedel und Carlo kicherten noch, als die letzte Stunde mit Stupps vorbei war. Sie stopften ihre Taschen voll mit Kuchen und riefen: „Bis morgen Frischling!“

Eigentlich war Jakob ganz zufrieden mit dem Tag.

Nur Jonny kicherte nicht. Er nahm ein Stück Kuchen, biss mitten in eine Blume, verzog kurz das Gesicht und spuckte einen Kieselstein in hohem Bogen in den Papierkorb. „Kameras. So etwas habe ich schon geahnt“, murmelte er ohne Jakob oder jemanden anderes zu beachten.

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